Neue Nano­welt in Zel­len entdeckt

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Neue Nano­welt in Zel­len entdeckt

Wie eine Zelle Hun­derte Signale gleich­zei­tig ver­ar­bei­ten kann, zeigt ein For­schungs­team um Martin Lohse jetzt im Fach­blatt „Cell“. Die neuen Ergeb­nisse wer­den ein kom­plett neues For­schungs­feld in der Zell­bio­lo­gie eröffnen.

Eine lebende Zelle ist viel­fäl­ti­gen Rei­zen aus­ge­setzt. Unzäh­lige Boten­stoffe docken an ihrer Ober­flä­che an, über­mit­teln ihre Bot­schaf­ten und lösen Signale im Zell­in­ne­ren aus. Dar­auf­hin ändert die Zelle ihre Funk­tio­nen, ihren Stoff­wech­sel oder schal­tet Gene im Zell­kern ein- oder aus. Rezep­to­ren in der Zell­mem­bran neh­men die Infor­ma­tio­nen für all diese Auf­träge an. Auf­ge­nom­men wer­den die Bot­schaf­ten der Außen­welt von vie­len unter­schied­li­chen Rezep­to­ren, die in der Zell­mem­bran sit­zen. Wie aber schafft es die Zelle, zwi­schen den Signa­len ver­schie­de­ner Rezep­to­ren zu unter­schei­den? Dass bis­lang unbe­kannte Nano­do­mä­nen eine ent­schei­dende Rolle spie­len, wies nun ein Team um den Phar­ma­ko­lo­gen Martin Lohse mit For­schern aus dem Max-Del­brück-Cen­trum in Ber­lin, der Uni­ver­si­tät Würz­burg und ISAR Bioscience nach.

Mehr als 800 unter­schied­li­che Rezep­to­ren gibt es, die auf der Zell­ober­flä­che sit­zen. Auf einer ein­zel­nen Zelle kön­nen bis zu hun­dert ver­schie­dene Rezep­tor-Typen sit­zen und diese spre­chen wie­derum auf ganz unter­schied­li­che Boten­stoffe an. „Von außen kom­men zahl­lose Signale, die ganz spe­zi­fisch von Rezep­to­ren erkannt wer­den – aber in der Zelle gibt es nur eine Hand­voll Mole­küle, die auf die Akti­vie­rung reagie­ren. Den­noch erle­di­gen sie viel­fäl­tige und völ­lig unter­schied­li­che Auf­ga­ben“, sagt Andreas Bock. Der lang­jäh­rige Mit­ar­bei­ter von Martin Lohse ist seit Anfang 2022 Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Leip­zig und Letz­t­au­tor der kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Stu­die in der renom­mier­ten Fach­zeit­schrift „Cell“.

Kom­mu­ni­ka­tion in nano­me­ter­gro­ßen Räumen

Cycli­sches Ade­no­sin­mo­no­phos­phat (cAMP) ist das wich­tigste Signal­mo­le­kül in der Zelle. Es wird her­ge­stellt, wenn bestimmte Rezep­to­ren sti­mu­liert wer­den. Ein Bei­spiel: Regt man Herz­mus­kel­zel­len mit Adre­na­lin an, dann erhöht sich ihr cAMP-Spie­gel und das Herz kon­tra­hiert schnel­ler und kräf­ti­ger. Wer­den die glei­chen Zel­len mit Pro­sta­glan­din sti­mu­liert, ent­steht zwar die glei­che Menge cAMP, doch der Herz­mus­kel reagiert erstaun­li­cher­weise kaum.

Mit Fluo­res­zenz­mi­kro­sko­pie unter­such­ten die For­schen­den an iso­lier­ten Ein­zel­zel­len, wie die cAMP-Signale von zwei ver­schie­de­nen Rezep­to­ren par­al­lel in einer Zelle ent­ste­hen und ver­ar­bei­tet wer­den. Sie erkann­ten, dass sich unter Nor­mal­be­din­gun­gen die Erhö­hung des cAMP-Spie­gels auf win­zig kleine Domä­nen direkt am akti­vier­ten Rezep­tor mit einem Radius zwi­schen 30 und 60 Nano­me­tern beschränkt. „Das sind abge­schot­tete Räume, in denen die cAMP-Kon­zen­tra­tion sehr hoch ist – in ihnen ent­ste­hen die unter­schied­li­chen Wir­kun­gen des cAMP“, erläu­tert Andreas Bock „Wir ver­mu­ten, dass über die enge Loka­li­sa­tion der Nan­o­räume die hohe Spe­zi­fi­tät von Rezep­tor-Sti­muli ent­steht. Wir haben diese klei­nen Räume RAINs genannt: Rezep­tor-asso­zi­ierte unab­hän­gige Nanodomänen.“

„Die Ent­de­ckung der Nano­do­mä­nen erhöht die Kom­ple­xi­tät von Signal­we­gen in der Zelle um ein Viel­fa­ches gegen­über unse­ren bis­he­ri­gen Vor­stel­lun­gen“, sagt Dr. Char­lotte Kay­ser. Gemein­sam mit Dr. Selma Anton und Dr. Isa­bella Mai­el­laro ist sie Erst­au­torin der Stu­die. Signale, die am Rezep­tor ent­ste­hen, blei­ben erst ein­mal vor Ort und beein­flus­sen nur die Enzyme in unmit­tel­ba­rer Umge­bung. Andere Berei­che in der Zelle wer­den durch die Signale also nicht ange­spro­chen. Dadurch kön­nen ein­zelne Signal­wege sehr lokal ein- und aus­ge­schal­tet werden.

Lange betrach­tete die Wis­sen­schaft das Cyto­sol, das Innere der Zelle, als ein gro­ßes „Schwimm­be­cken“, in dem sich Zell­be­stand­teile frei tum­meln. Doch es scheint bis­lang unbe­kannte Struk­tu­ren zu geben, die das Zell­in­nere um jeden ein­zel­nen Rezep­tor herum glie­dern. „Wir kön­nen die Nan­o­räume nicht direkt sehen - selbst für die bes­ten Licht­mi­kro­skope sind sie zu klein“, erläu­tert Senior­au­tor Pro­fes­sor Martin Lohse, frü­he­rer Lei­ter des Max-Del­brück-Cen­trums und jetzt Chair­man von ISAR Bioscience.

Zel­len kön­nen große Men­gen an Signa­len par­al­lel verarbeiten

Die Zelle scheint dem­nach kein Schal­ter zu sein, der ent­we­der „An“ oder „Aus“ ist. Sie funk­tio­niere eher wie ein Chip, bei dem auf kleins­ter Flä­che viele Signale gleich­zei­tig ver­ar­bei­tet wer­den, sagt Lohse. „Das ist zum Bei­spiel sehr wich­tig für Ner­ven­zel­len, die auf diese Weise an ihren Aus­läu­fern jeweils unter­schied­li­che Signale ver­ar­bei­ten kön­nen: Eine Stelle kann akti­viert sein, wäh­rend eine wei­tere ruht und eine dritte gehemmt wird.“

Sobald die Wis­sen­schaft­ler eine Zelle mit gerin­gen Men­gen von Boten­stoff – Hor­mon oder Neu­ro­trans­mit­ter – sti­mu­lier­ten, waren die Nano­do­mä­nen stark aus­ge­prägt. Bei stär­ke­rer Sti­mu­la­tion kam es zum „Über­lau­fen“ der Signal­mo­le­küle und die Räume began­nen zu ver­schmel­zen. Das könnte sich medi­zi­nisch nut­zen las­sen. „Womög­lich kann man mit Sub­stan­zen, die in unter­schied­li­chem Maße Rezep­to­ren sti­mu­lie­ren – ich denke zum Bei­spiel an Opio­ide – nicht nur quan­ti­ta­tiv, son­dern auch qua­li­ta­tiv unter­schied­li­che Effekte erzeu­gen. Je nach­dem, ob die aus­ge­lös­ten cAMP-Signale nur ein­zelne Regio­nen der Zelle betref­fen oder die ganze Zelle erfas­sen“, ergänzt Martin Lohse.

„Wir haben einen ers­ten Blick auf eine bis­her unge­ahnte Nano­welt inner­halb von Zel­len getan“, sagt Lohse. „Mit For­schungs­mit­teln des Euro­pean Rese­arch Coun­cil haben wir seit 2008 nach einer „Quan­ten­welt“ für zel­lu­läre Signale gesucht - jetzt kön­nen wir sagen, dass es sie wirk­lich gibt.“ Zunächst gilt es, den Auf­bau und die Bestand­teile sol­cher Nano­do­mä­nen bes­ser zu ver­ste­hen. Erste Befunde zei­gen aber bereits, dass sie bei kran­ken Zel­len, wie Leber­krebs­zel­len oder im kran­ken Her­zen, nicht mehr rich­tig funk­tio­nie­ren. Damit wer­den die zel­lu­läre Nano­welt auch für die Medi­zin interessant.

Anton SE, Kay­ser C, Mai­el­laro I, Nemec K, Möl­ler J, Kosch­in­ski A, Zac­colo M, Anni­bale P, Falcke M, Lohse MJ, Bock A (2022) Recep­tor-asso­cia­ted inde­pen­dent cAMP nano­do­mains mediate spa­tio­tem­po­ral spe­ci­fi­city of GPCR signaling.
Cell DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2022.02.011.

Win­zige Nano­do­mä­nen für Signale in einer Zelle. 
Das Bild zeigt einen Aus­schnitt einer Zelle, oben befin­den sich bei­spiel­haft zwei ver­schie­dene Rezep­to­ren an der Zell­ober­flä­che: Links ein Rezep­tor für GLP-1, ein Hor­mon, des­sen Funk­tion bei der Zucker­krank­heit gestört ist, rechts ein Rezep­tor für das Stress­hor­mon Adre­na­lin. Beide Rezep­to­ren lösen über ver­schie­dene Zwi­schen­schritte die Pro­duk­tion des Signal­mo­le­küls cAMP in der Zelle aus - aber jeder Rezep­tor tut das in einer win­zig klei­nen eige­nen Nano­do­mäne. Auf diese Weise kann eine Zelle die Signale vie­ler ver­schie­de­ner Rezep­to­ren gleich­zei­tig unab­hän­gig ver­ar­bei­ten. (Bild: Char­lotte Kay­ser, MDC Berlin)

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