Eine Land­schaft mit Ber­gen und Tälern

By

Eine Land­schaft mit Ber­gen und Tälern

Ein Team um Martin Lohse hat eine rund vier­zig Jahre alte For­schungs­frage gelöst. Im Fach­blatt „Cell“ erläu­tert die Gruppe, wie es Zel­len gelingt, mit nur einem Boten­stoff, dem Mole­kül cAMP, ganz unter­schied­li­che Signal­wege anzu­schal­ten: Er wird dazu in nano­me­ter­gro­ßen Räu­men quasi inhaftiert.

Auf der Ober­flä­che jeder Zelle des mensch­li­chen Kör­pers sit­zen bis zu hun­dert ver­schie­dene Anten­nen: Rezep­to­ren, mit denen die Zelle Signale von außen emp­fängt und diese dann in ihr Inne­res wei­ter­lei­tet. Sol­che Signale kön­nen zum Bei­spiel in Form von Sin­nes­wahr­neh­mun­gen, Neu­ro­trans­mit­tern wie Dopa­min oder Hor­mo­nen wie Insu­lin bei der Zelle eintreffen.

Einer der wich­tigs­ten Boten­stoffe, mit denen die Zelle sol­che Reize in ihrem Inne­ren wei­ter­lei­tet und dann ent­spre­chende Signal­wege anschal­tet, ist ein klei­nes Mole­kül namens cAMP. Es wurde in den 1950er-Jah­ren ent­deckt. Bis­lang ging man auf­grund expe­ri­men­tel­ler Beob­ach­tun­gen davon aus, dass cAMP in der Zelle frei dif­fun­diert, seine Kon­zen­tra­tion also über­all in der Zelle annä­hernd gleich ist – und ein Signal des­we­gen eigent­lich die gesamte Zelle erfas­sen müsste.

„Seit Anfang der 1980-er Jahre wusste man aller­dings, dass zum Bei­spiel zwei ver­schie­dene Rezep­to­ren von Herz­zel­len beim Emp­fang eines äuße­ren Signals exakt die glei­chen Men­gen cAMP frei­set­zen, dies aber in der Zelle zu ganz unter­schied­li­chen Effek­ten führt“, berich­tet Dr. Andreas Bock. Gemein­sam mit Dr. Paolo Anni­bale lei­tet er kom­mis­sa­risch die Arbeits­gruppe „Signal­pro­zesse von Rezep­to­ren“ am Max-Del­brück-Cen­trum für Mole­ku­lare Medi­zin in der Helm­holtz-Gemein­schaft (MDC) in Berlin.

Wie Löcher in einem Schwei­zer Käse

Die­sen schein­ba­ren Wider­spruch, der die Wis­sen­schaft seit nun­mehr fast vier­zig Jah­ren beschäf­tigt, haben Bock und Anni­bale, die bei­den Erst­au­toren der Stu­die, auf­ge­löst. Wie das Team im Fach­blatt „Cell“ berich­tet, kann sich das meiste cAMP ent­ge­gen frü­he­rer Annah­men nicht frei in der Zelle bewe­gen, son­dern ist an Pro­te­ine gebun­den, vor allem an Pro­te­in­ki­na­sen. Neben den drei Wis­sen­schaft­lern waren an der Arbeit auch Pro­fes­sor Martin Falcke vom MDC und wei­tere For­schende aus Ber­lin, Würz­burg und Min­nea­po­lis beteiligt.

„Durch die Bin­dung der Pro­te­ine ist die Kon­zen­tra­tion an freiem cAMP in der Zelle sehr nied­rig“, sagt Pro­fes­sor Martin Lohse, Letz­t­au­tor der Stu­die. „Dadurch haben die eher lang­sa­men cAMP-abbau­en­den Enzyme, die Phos­pho­dies­ter­asen (PDE), genü­gend Zeit, um nano­me­ter­große Kom­par­ti­mente um sich herum zu bil­den, die nahezu frei von cAMP sind.“ In die­sen win­zi­gen Räu­men werde der Boten­stoff jeweils sepa­rat regu­liert. „Das ermög­licht es Zel­len, in sehr vie­len sol­cher Räume jeweils unter­schied­li­che Rezep­tor­si­gnale gleich­zei­tig zu ver­ar­bei­ten“, erläu­tert Lohse. Zei­gen konn­ten das die For­scher unter ande­rem am Bei­spiel der cAMP-abhän­gi­gen Pro­te­in­ki­nase A, für deren Akti­vie­rung in ver­schie­de­nen Kom­par­ti­men­ten unter­schied­li­che cAMP-Men­gen erfor­der­lich waren.

„Man kann sich diese leer­ge­räum­ten Kom­par­ti­mente wie die Löcher eines Schwei­zer Käses vor­stel­len – oder auch wie win­zige Gefäng­nisse, in denen die eigent­lich eher lang­sam arbei­tende PDE dar­über wacht, dass das viel schnel­lere cAMP nicht aus­bricht und unbe­ab­sich­tigte Effekte in der Zelle erzielt“, erklärt Anni­bale. „Ist der Täter erst ein­ge­sperrt, muss die Poli­zei nicht mehr rennen.“ 

Mit nano­me­ter­gro­ßen Linealen

Erkannt hat das Team die Bewe­gun­gen des Boten­stof­fes in der Zelle mit fluo­res­zie­ren­den cAMP-Mole­kü­len und spe­zi­el­len Metho­den der Fluo­res­zenz­spek­tro­sko­pie, unter ande­rem Fluk­tua­ti­ons­spek­tro­sko­pie und Aniso­tro­pie, die Anni­bale für die Stu­die wei­ter­ent­wi­ckelt hat. Soge­nannte Nan­o­ru­ler haben der Gruppe dabei gehol­fen, die Größe der Löcher, in denen das cAMP jeweils spe­zi­fi­sche Signal­wege anschal­tet, zu ver­mes­sen. „Dabei han­delt es sich um aus­ge­streckte Pro­te­ine, die wir wie ein win­zi­ges Lineal benut­zen konn­ten“, erklärt Bock, der die Nan­o­ru­ler erfun­den hat.

Die Mes­sun­gen des Teams haben erge­ben, dass die meis­ten Kom­par­ti­mente tat­säch­lich klei­ner als zehn Nano­me­ter – also zehn mil­li­ons­tel Mil­li­me­ter – sind. Auf diese Weise gewinnt die Zelle Tau­sende von­ein­an­der getrenn­ter Räume, in denen sie cAMP sepa­rat regu­liert und dadurch vor unbe­ab­sich­tig­ten Effek­ten des Boten­stof­fes geschützt ist. „Wir konn­ten zei­gen, dass ein bestimm­ter Signal­weg in einem nahezu cAMP-freien Loch zunächst unter­bro­chen war“, berich­tet Anni­bale. „Doch wenn wir die PDE, die diese Löcher schafft, gehemmt haben, lief der Signal­weg weiter.“

Kein Schal­ter, son­dern ein Chip

„Die Zelle agiert folg­lich nicht wie ein ein­zel­ner An/Aus-Schal­ter, son­dern eher wie ein gan­zer Chip, der Tau­sende sol­cher Schal­ter ent­hält“, fasst Martin Lohse die Erkennt­nisse der Arbeit zusam­men. „Es war ein Feh­ler in der Ver­gan­gen­heit, dass bei sol­chen Expe­ri­men­ten mit viel zu hohen cAMP-Kon­zen­tra­tio­nen gear­bei­tet wurde – sodass tat­säch­lich große Men­gen des Boten­stof­fes in der Zelle frei dif­fun­dier­ten, weil alle Bin­dungs­plätze belegt waren.“

Als nächs­tes wol­len die For­schen­den nun die Archi­tek­tur der cAMP-Gefäng­nisse wei­ter unter­su­chen und her­aus­fin­den, wel­che PDE jeweils wel­che Signal­pro­te­ine schüt­zen. Künf­tig könnte auch die medi­zi­ni­sche For­schung von ihren Erkennt­nis­sen pro­fi­tie­ren. „Viele Medi­ka­mente ver­än­dern Signal­wege inner­halb der Zelle“, sagt Lohse. „Durch die von uns ent­deckte Kom­par­ti­men­tie­rung der Zelle wis­sen wir nun, dass es sehr, sehr viele mög­li­che Angriffs­punkte gibt, nach denen man jetzt suchen kann.“

„Eine zeit­gleich mit unse­rer Publi­ka­tion ver­öf­fent­lichte Stu­die in „Cell“ aus San Diego zeigt zudem, dass Zel­len zu wuchern begin­nen, wenn ihre ein­zel­nen Signal­wege nicht mehr räum­lich von­ein­an­der getrennt regu­liert wer­den“, ergänzt Bock. Dar­über hin­aus wisse man, dass bei­spiels­weise bei Herz­in­suf­fi­zi­enz die Ver­tei­lung der cAMP-Kon­zen­tra­tion in den Herz­zel­len ver­än­dert sei. Somit lie­fere ihre Arbeit sowohl der Krebs- als auch der Herz-Kreis­lauf-For­schung neue Grundlagen.

Text: Anke Brodmerkel

Bock A, Anni­bale P, Kon­rad C, Han­na­wa­cker A, Anton SE, Mai­el­laro I, Zabel U, Siv­a­ra­ma­krish­nan S, Falcke M, Lohse MJ (2020) Opti­cal Map­ping of cAMP Signal­ing at the Nano­me­ter Scale. Cell. 182: 1519–1530.e17.
doi: 10.1016/j.cell.2020.07.035.

PDF